
Islamic Finance hat in Deutschland ein Milliardenpotenzial - angeblich. Tatsächlich stützen sich die Verfechter des zinslosen Bankings auf eher zweifelhafte Studien.
Zaid el-Mogaddedi spricht schon fast eine Viertelstunde. Er hat seine Afrika-Barfuß-Metapher zum Besten gegeben, hat vom boomenden britischen Markt geschwärmt, nun kann es nicht mehr lange dauern, bis die Umfrage kommt. Die Umfrage darf nämlich nie fehlen, wenn el-Mogaddedi referiert.
Zaid el-Mogaddedi spricht schon fast eine Viertelstunde. Er hat seine Afrika-Barfuß-Metapher zum Besten gegeben, hat vom boomenden britischen Markt geschwärmt, nun kann es nicht mehr lange dauern, bis die Umfrage kommt. Die Umfrage darf nämlich nie fehlen, wenn el-Mogaddedi referiert.
Das Auditorium ist exquisit an diesem Abend, die Vereinigung der Repräsentanten ausländischer Banken (VRAB) hat zum Vortragsabend eingeladen. "Islamic Finance - eine verpasste Chance für den Finanzstandort Frankfurt?", heißt das Thema. Der Veranstalter hat ein Fragezeichen dahinter gesetzt, aber mithilfe der Umfrage wischt el-Mogaddedi das Fragezeichen nun weg: "70 bis 80 Prozent der Muslime in Deutschland", trägt der Referent vor, "interessieren sich für islamkonforme Bankprodukte." Die Auslandsbanker machen große Augen. 70 bis 80 Prozent? Das sind drei Millionen Menschen. Was für ein Markt.
Ja, was für ein Markt, Islamic Banking in Deutschland. Seit Jahren geistert diese These durch die Finanzrepublik, ventiliert von den immer gleichen Experten, die sich auf die immer gleichen Studien berufen. Ob bei einer Bafin-Tagung, bei der Euro Finance Week, beim Herrenabend der VRAB oder jüngst beim Workshop der Stiftung Kreditwirtschaft - für das Modethema "Islamic Banking" findet sich allzeit ein Podium.
Die Frage ist nur: Wo ist er denn, der Markt?
Ergün Akinci müsste es eigentlich wissen. Er ist Chef der Bankamiz, eines Angebots der Deutschen Bank , das sich speziell an die gut 350.000 türkischstämmigen Kunden des Geldinstituts richtet. "Natürlich haben wir uns mit dem Thema beschäftigt", sagt Akinci, "aber abgesehen von einigen wenigen Anfragen herrscht da kein Bedarf." Selbst wenn man muslimische Kunden direkt auf islamkonforme Produkte anspreche, sei das Interesse "sehr gering".
Die Deutsche Bank ist nicht das einzige Geldhaus, das diese Erfahrung gemacht hat. Bei der Commerzbank heißt es: "Wir haben das immer mal wieder diskutiert, aber die Zielgruppe ist viel zu klein." Bei der Postbank : "Die Nachfrage ist äußerst gering." Bei den Volks- und Raiffeisenbanken: "Das Thema hat keine Marktrelevanz." Und bei den Sparkassen: "Wir haben das intensiv untersucht, auch mit wissenschaftlicher Unterstützung. Aber im deutschen Markt gibt es schlicht keine Nachfrage."
Aber warum wird dann in Zeitungen, Magazinen und selbst in Fachzeitschriften regelmäßig das Gegenteil behauptet? Weshalb stößt man fast ausschließlich auf positive Einträge, wenn man bei Google "Islamic Banking Deutschland" eingibt?
Imam half beim Ausfüllen
Im Wesentlichen wird die deutsche Debatte seit Jahren von drei Protagonisten geprägt: von el-Mogaddedis Beraterfirma "Institute for Islamic Banking and Finance", von Michael Gassner vom Zentralrat der Muslime und von einer immer wieder gern zitierten Studie der Unternehmensberatung Booz & Company. Den Angaben von Booz zufolge sind über 60 Prozent der Muslime in Deutschland an islamischen Baufinanzierungen interessiert. Auf Nachfrage räumt der Autor allerdings ein, dass sich das realistische Marktpotenzial eher auf 15 Prozent belaufe.
Zu den Verzerrungen dürfte beigetragen haben, dass die Umfrage vor allem in Moscheen erhoben wurde; bisweilen half beim Ausfüllen der Imam. Die Angaben el-Mogaddedis wiederum beruhen auf einer Online-Befragung: Erfasst wurde, wer mitmachte, die Repräsentativität ist eher zweifelhaft. Gassner vom Zentralrat schließlich spricht in Interviews von 30 bis 50 Prozent Marktpotenzial. Auf Anfrage sagt er, er beziehe sich "auf eigene Schätzungen und auf Booz".
Ergün Akinci, der Mann von der Deutschen Bank, hält selbst Schätzungen von 15 Prozent für zu hoch gegriffen. Er weiß zwar um den Boom, den das Thema in Großbritannien erlebt, wo sich in den letzten Jahren fünf rein islamische Geldhäuser angesiedelt und auch einheimische Großbanken wie HSBC oder Lloyds TSB längst entsprechende Finanzprodukte anbieten. "Anders als in England entstammen die meisten Muslimen in Deutschland allerdings der Türkei, also einem laizistisch geprägten Land, in dem Menschen traditionell keine Probleme mit dem Thema Zins haben", sagt Akinci.
Allahs Banker
Islamic Banking verbindet moderne Finanzgeschäfte mit dem islamischen Zinsverbot. Bei der Immobilienfinanzierung etwa erwirbt die Bank das Haus und verkauft es mit Aufschlag an den Kunden weiter.
Und wie hoch ist das Marktpotenzial tatsächlich? Verlässliche Daten dazu gibt es keine. Akinci schätzt das Potenzial auf drei bis vier Prozent - das entspricht übrigens etwa dem Marktanteil von Islamic Banking in der Türkei. Eine Stiftung des Essener Zentrums für Türkeistudien im Auftrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2005 diagnostizierte zwar bei 23 Prozent der türkischstämmigen Migranten ein "grundsätzliches Interesse".
Allerdings plante weniger als ein Prozent, in Zukunft tatsächlich Ersparnisse in islamische Geldanlagen zu investieren. Ein wissenschaftlich begleiteter Round Table des Sparkassenverbands von 2007 bis 2009 kommt zu dem Schluss: "Islamic Banking wird sich in Deutschland nicht zu einem Massengeschäft entwickeln." Die Meinungsforscher von TNS Infratest planten 2007 eine große Befragung zu dem Thema, ließen das Vorhaben dann aber fallen, weil die Finanzbranche kein Interesse zeigte.
Die bisherigen Erfahrungen im Endkundengeschäft sind ernüchternd: Mangels Nachfrage musste die Commerzbank 2005 einen islamkonformen Publikumsfonds wieder schließen. Und die im vergangenen Frühjahr unter großem Presseecho gestartete erste deutsche Islambank Kuveyt Turk in Mannheim hat nach FTD-Informationen bislang nicht einmal 200 Kunden.
Zaid el-Mogaddedi ist trotzdem überzeugt, dass Islamic Banking auch in Deutschland eine Chance hat. Seiner Ansicht nach sperren sich die deutschen Geldhäuser vor allem gegen das Thema, weil sie den Unmut ihrer angestammten Klientel fürchten. Seinen Vortrag bei den Auslandsbankern hat el-Mogaddedi mit einer Metapher begonnen: Wenn in einer Gegend in Afrika alle Menschen barfuß laufen, dann könne man als Schuhfirma daraus zwei Schlüsse ziehen: "Entweder: Da ist kein Markt für uns. Oder: Genau da ist ein riesiger Markt."
Financial Times Deutschland
Ja, was für ein Markt, Islamic Banking in Deutschland. Seit Jahren geistert diese These durch die Finanzrepublik, ventiliert von den immer gleichen Experten, die sich auf die immer gleichen Studien berufen. Ob bei einer Bafin-Tagung, bei der Euro Finance Week, beim Herrenabend der VRAB oder jüngst beim Workshop der Stiftung Kreditwirtschaft - für das Modethema "Islamic Banking" findet sich allzeit ein Podium.
Die Frage ist nur: Wo ist er denn, der Markt?
Ergün Akinci müsste es eigentlich wissen. Er ist Chef der Bankamiz, eines Angebots der Deutschen Bank , das sich speziell an die gut 350.000 türkischstämmigen Kunden des Geldinstituts richtet. "Natürlich haben wir uns mit dem Thema beschäftigt", sagt Akinci, "aber abgesehen von einigen wenigen Anfragen herrscht da kein Bedarf." Selbst wenn man muslimische Kunden direkt auf islamkonforme Produkte anspreche, sei das Interesse "sehr gering".
Die Deutsche Bank ist nicht das einzige Geldhaus, das diese Erfahrung gemacht hat. Bei der Commerzbank heißt es: "Wir haben das immer mal wieder diskutiert, aber die Zielgruppe ist viel zu klein." Bei der Postbank : "Die Nachfrage ist äußerst gering." Bei den Volks- und Raiffeisenbanken: "Das Thema hat keine Marktrelevanz." Und bei den Sparkassen: "Wir haben das intensiv untersucht, auch mit wissenschaftlicher Unterstützung. Aber im deutschen Markt gibt es schlicht keine Nachfrage."
Aber warum wird dann in Zeitungen, Magazinen und selbst in Fachzeitschriften regelmäßig das Gegenteil behauptet? Weshalb stößt man fast ausschließlich auf positive Einträge, wenn man bei Google "Islamic Banking Deutschland" eingibt?
Imam half beim Ausfüllen
Im Wesentlichen wird die deutsche Debatte seit Jahren von drei Protagonisten geprägt: von el-Mogaddedis Beraterfirma "Institute for Islamic Banking and Finance", von Michael Gassner vom Zentralrat der Muslime und von einer immer wieder gern zitierten Studie der Unternehmensberatung Booz & Company. Den Angaben von Booz zufolge sind über 60 Prozent der Muslime in Deutschland an islamischen Baufinanzierungen interessiert. Auf Nachfrage räumt der Autor allerdings ein, dass sich das realistische Marktpotenzial eher auf 15 Prozent belaufe.
Zu den Verzerrungen dürfte beigetragen haben, dass die Umfrage vor allem in Moscheen erhoben wurde; bisweilen half beim Ausfüllen der Imam. Die Angaben el-Mogaddedis wiederum beruhen auf einer Online-Befragung: Erfasst wurde, wer mitmachte, die Repräsentativität ist eher zweifelhaft. Gassner vom Zentralrat schließlich spricht in Interviews von 30 bis 50 Prozent Marktpotenzial. Auf Anfrage sagt er, er beziehe sich "auf eigene Schätzungen und auf Booz".
Ergün Akinci, der Mann von der Deutschen Bank, hält selbst Schätzungen von 15 Prozent für zu hoch gegriffen. Er weiß zwar um den Boom, den das Thema in Großbritannien erlebt, wo sich in den letzten Jahren fünf rein islamische Geldhäuser angesiedelt und auch einheimische Großbanken wie HSBC oder Lloyds TSB längst entsprechende Finanzprodukte anbieten. "Anders als in England entstammen die meisten Muslimen in Deutschland allerdings der Türkei, also einem laizistisch geprägten Land, in dem Menschen traditionell keine Probleme mit dem Thema Zins haben", sagt Akinci.
Allahs Banker
Islamic Banking verbindet moderne Finanzgeschäfte mit dem islamischen Zinsverbot. Bei der Immobilienfinanzierung etwa erwirbt die Bank das Haus und verkauft es mit Aufschlag an den Kunden weiter.
Und wie hoch ist das Marktpotenzial tatsächlich? Verlässliche Daten dazu gibt es keine. Akinci schätzt das Potenzial auf drei bis vier Prozent - das entspricht übrigens etwa dem Marktanteil von Islamic Banking in der Türkei. Eine Stiftung des Essener Zentrums für Türkeistudien im Auftrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2005 diagnostizierte zwar bei 23 Prozent der türkischstämmigen Migranten ein "grundsätzliches Interesse".
Allerdings plante weniger als ein Prozent, in Zukunft tatsächlich Ersparnisse in islamische Geldanlagen zu investieren. Ein wissenschaftlich begleiteter Round Table des Sparkassenverbands von 2007 bis 2009 kommt zu dem Schluss: "Islamic Banking wird sich in Deutschland nicht zu einem Massengeschäft entwickeln." Die Meinungsforscher von TNS Infratest planten 2007 eine große Befragung zu dem Thema, ließen das Vorhaben dann aber fallen, weil die Finanzbranche kein Interesse zeigte.
Die bisherigen Erfahrungen im Endkundengeschäft sind ernüchternd: Mangels Nachfrage musste die Commerzbank 2005 einen islamkonformen Publikumsfonds wieder schließen. Und die im vergangenen Frühjahr unter großem Presseecho gestartete erste deutsche Islambank Kuveyt Turk in Mannheim hat nach FTD-Informationen bislang nicht einmal 200 Kunden.
Zaid el-Mogaddedi ist trotzdem überzeugt, dass Islamic Banking auch in Deutschland eine Chance hat. Seiner Ansicht nach sperren sich die deutschen Geldhäuser vor allem gegen das Thema, weil sie den Unmut ihrer angestammten Klientel fürchten. Seinen Vortrag bei den Auslandsbankern hat el-Mogaddedi mit einer Metapher begonnen: Wenn in einer Gegend in Afrika alle Menschen barfuß laufen, dann könne man als Schuhfirma daraus zwei Schlüsse ziehen: "Entweder: Da ist kein Markt für uns. Oder: Genau da ist ein riesiger Markt."
Financial Times Deutschland