
D Der Aufstieg des Kapitalismus, so die gängige Lesart, lief parallel zur Befreiung von religiöser Moral. Die Emanzipation einer ökonomischen Binnenethik nahm dem produktiven Eigennutz den Makel. Kredit und Zins, vom Christentum zunächst geächtet, setzten die Gegenwart unter Druck und mobilisierten die wirtschaftlichen Energien. Die Frage, ob eine Ökonomie, die auf den Zins verzichtet und ihre Finanz religiösen Vorschriften unterstellt, eine Chance im globalen Wettbewerb hätte, scheint theoretischer Natur.
Zunächst: Es gibt diese Wirtschaftsform, und sie wächst seit Jahrzehnten. Das islamische Bankensystem, das seine Geschäfte der Scharia unterwirft, hat sich seit Mitte der Achtziger formiert und auch im Westen Fuß gefasst. Es ist ein boomender Sektor mit Wachstumsraten von fünfzehn Prozent. Rund achthundert Milliarden Dollar werden weltweit nach islamischen Prinzipien angelegt. Europäische Banken haben islamkonforme Fonds in ihr Portfolio aufgenommen oder öffnen Tochterbanken für Muslime.
Ein KrisengewinnlerDie islamische Finanz wirbt mit dem Versprechen, auf dem Boden der islamischen Ethik eine gerechte und solide Alternative zum westlichen Kapitalismus aufzubauen. Die Bindung aller Finanzgeschäfte an feste Güter soll die ungedeckten Höhenflüge des Finanzsektors über die Realwirtschaft begrenzt halten, die in den Abgrund der Krise rissen. Mancher sieht in ihr ein überlegenes System, auf bestem Weg, den krisenanfälligen und aggressiven westlichen Finanzkapitalismus abzulösen. Ihr sozialreformerischer Ansatz wurde von den Vertretern des arabischen Frühlings begeistert aufgegriffen, als Integrationsfaktor für den europäischen Muslim findet sie Beachtung.
Die Hoffnungen sind verfrüht. Trotz seiner Blüte ist das islamische Bankwesen bisher nicht mehr als ein Nebenschauplatz der Finanz. Selbst in den islamischen Ländern kommt es auf kaum mehr als zehn Prozent des Marktanteils. Die drei Länder, die ihr Finanzsystem komplett dem Islam unterstellen - Pakistan, Iran und der Sudan -, sind womöglich auch deshalb auf Entwicklungsniveau.
Die Hölle des WuchersIm Kern der islamischen Finanz steht das Verbot des Zinses, der Riba. Im Unterschied zu Christen- und Judentum ist der Islam, zumindest der Form nach, dem religiösen Grundsatz treu geblieben, dass das Profitstreben keine Eigendynamik gewinnen darf. Jedes Geschäft soll durch Realwerte gedeckt sein. „Die nun vom Wucher leben, werden einst mit Krämpfen auferstehen als vom Satan Besessene; deshalb, weil sie sagen: ,Handel ist mit Wucher gleich’“, heißt es im Koran. „Aber Allah hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten.“ Offen bleibt, ob der Riba ein generelles Verbot beinhaltet oder sich nur gegen ausbeuterisch hohe Zinsen wendet. Gegen Handel hat der Islam keine Einwände. Von seinen Anfängen an verstand sich das islamische Bankgewerbe auch als politisches Programm. Die Idee stammt aus den vierziger Jahren, als bei der Gründung Pakistans der Versuch unternommen wurde, ein eigenes Finanzsystem einzurichten, das, der politisch-geographischen Position des Landes entsprechend, in der Mitte zwischen dem Zinskapitalismus der ehemaligen britischen Kolonialherren und der kommunistischen Kollektivwirtschaft der benachbarten Sowjetunion lag. Das Wirtschaftskonzept des neuen muslimischen Staates baute auf der Idee des geteilten Risikos auf.
Statt fest vereinbarte Zinsen zu zahlen, soll die islamische Bank mit ihrem Kunden Erfolg und Verlust teilen. Kapitalgewinn aus Aktien ist nicht verboten, steht aber unter dem Gebot einer Risikoabwägung und dem Verzicht auf Extreme. Tabu sind all die krisenbeschleunigenden Instrumente wie Derivate und Leerverkäufe, auch Geschäfte mit Unternehmen, die zu wenig Eigenkapital mitbringen. Die Scharia schließt zudem alle Anlagen aus, die mit Glücksspiel, Alkohol oder Schweinefleisch zu tun haben.
Im Formalismus erstarrtSo viel zur Idee. Die Realität sieht anders aus, wie Volker Nienhaus in einem Vortarg über das islamische Zinsverbot und die Entwicklung Shariah-konformer Finanztechniken jetzt erläutert hat. Das pakistanische Projekt scheiterte. Die islamischen Banken, die seit den siebziger Jahren mit dem Aufkommen des politischen Islam entstanden und die islamische Finanz zur stabilen Größe machten, führen den Bezug zur Ursprungsidee nur als Attrappe mit sich. Die Realität ist weitgehend eine Kultur der Replikate. Im Wettbewerb mit der konventionellen Finanzwirtschaft erliegt man der Versuchung, deren wesentlich lukrativere Instrumente zu imitieren und ethisch zu bemänteln.
Bei der zweiten, erfolgreichen Institutionalisierung der islamischen Finanz führten nicht mehr Ökonomen, sondern Praktiker die Regie. Das übergeordnete Ziel einer fairen Wirtschaftsordnung geriet aus dem Blick. Nach außen wurde die religiöse Fundierung beibehalten. Man orientierte sich jetzt aber an ihrer gesetzlichen Form. Derzeit meint „schariakonformes Banking“ die rein formale Übertragung eines islamischen Handelsrechts, das sich in den Jahren sechshundert bis neunhundert gebildet hat, auf die moderne Wirtschaft. Schariaexperten und Rechtsfirmen arbeiten oft mit erheblichem Knirschen an diesem Transfer. Das Handelsrecht der Scharia kennt etwa nicht die juristische Person, hat es aber überall damit zu tun: Schon die Bank ist eine solche.
Den größten Eifer verwendet man darauf, die religiös inkriminierten Darlehensgeschäfte in Handelsgeschäfte umzudeuten. Das klassische Beispiel ist der Hauskauf: Wenn eine islamische Bank die vom Kunden gewünschte Immobilie zunächst kauft, um sie später teurer an ihn weiterzuveräußern, wird aus verbotenem Zinsgewinn ein rein formal zulässiger Handelsgewinn. In der Substanz bleibt es aber ein Zinsgeschäft. Kreative Auslegung öffnet viele Hintertüren, in der Praxis wird so auch die Finanzierung unproduktiver Staatsausgaben möglich.
Dem europäischen Muslim, der sich in seiner säkularen Umwelt gegängelt fühlt, genügt meist der Schein religiöser Konformität. Die Islamfonds westlicher Banken beschränken sich auf rein formale Kriterien. Solange der Anteil der Fremdfinanzierung nicht zu hoch ist und weder Alkohol noch Schweinefleisch im Spiel sind, darf auch mit Waffen- und Ölfirmen spekuliert werden. Im Prinzip, so Nienhaus, könne man mit schariakonformen Konstruktionen selbst Derivate nachbilden. Auch von der Idee des geteilten Risikos ist in der Praxis wenig zu sehen. Es würde wenig zur Attraktivität beitragen, den Kunden Verluste aufzubürden.
Bisher hat das islamische Bankwesen die Kluft zur Idee nicht schließen können, was seinem Aufschwung aber keinen Abbruch tut. Die Führer des arabischen Frühlings haben die Gründung neuer islamischer Banken bereits angekündigt. Der ökonomische Umbau der nordafrikanischen Staaten wird zum Testfall für die soziale Idee der islamischen Finanz. Man erwartet hier Antwort auf die Frage, ob religiöse Moral und Zinsverbot auch der Substanz nach im Wirtschaftsleben existieren können.
faz.net
Ein KrisengewinnlerDie islamische Finanz wirbt mit dem Versprechen, auf dem Boden der islamischen Ethik eine gerechte und solide Alternative zum westlichen Kapitalismus aufzubauen. Die Bindung aller Finanzgeschäfte an feste Güter soll die ungedeckten Höhenflüge des Finanzsektors über die Realwirtschaft begrenzt halten, die in den Abgrund der Krise rissen. Mancher sieht in ihr ein überlegenes System, auf bestem Weg, den krisenanfälligen und aggressiven westlichen Finanzkapitalismus abzulösen. Ihr sozialreformerischer Ansatz wurde von den Vertretern des arabischen Frühlings begeistert aufgegriffen, als Integrationsfaktor für den europäischen Muslim findet sie Beachtung.
Die Hoffnungen sind verfrüht. Trotz seiner Blüte ist das islamische Bankwesen bisher nicht mehr als ein Nebenschauplatz der Finanz. Selbst in den islamischen Ländern kommt es auf kaum mehr als zehn Prozent des Marktanteils. Die drei Länder, die ihr Finanzsystem komplett dem Islam unterstellen - Pakistan, Iran und der Sudan -, sind womöglich auch deshalb auf Entwicklungsniveau.
Die Hölle des WuchersIm Kern der islamischen Finanz steht das Verbot des Zinses, der Riba. Im Unterschied zu Christen- und Judentum ist der Islam, zumindest der Form nach, dem religiösen Grundsatz treu geblieben, dass das Profitstreben keine Eigendynamik gewinnen darf. Jedes Geschäft soll durch Realwerte gedeckt sein. „Die nun vom Wucher leben, werden einst mit Krämpfen auferstehen als vom Satan Besessene; deshalb, weil sie sagen: ,Handel ist mit Wucher gleich’“, heißt es im Koran. „Aber Allah hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten.“ Offen bleibt, ob der Riba ein generelles Verbot beinhaltet oder sich nur gegen ausbeuterisch hohe Zinsen wendet. Gegen Handel hat der Islam keine Einwände. Von seinen Anfängen an verstand sich das islamische Bankgewerbe auch als politisches Programm. Die Idee stammt aus den vierziger Jahren, als bei der Gründung Pakistans der Versuch unternommen wurde, ein eigenes Finanzsystem einzurichten, das, der politisch-geographischen Position des Landes entsprechend, in der Mitte zwischen dem Zinskapitalismus der ehemaligen britischen Kolonialherren und der kommunistischen Kollektivwirtschaft der benachbarten Sowjetunion lag. Das Wirtschaftskonzept des neuen muslimischen Staates baute auf der Idee des geteilten Risikos auf.
Statt fest vereinbarte Zinsen zu zahlen, soll die islamische Bank mit ihrem Kunden Erfolg und Verlust teilen. Kapitalgewinn aus Aktien ist nicht verboten, steht aber unter dem Gebot einer Risikoabwägung und dem Verzicht auf Extreme. Tabu sind all die krisenbeschleunigenden Instrumente wie Derivate und Leerverkäufe, auch Geschäfte mit Unternehmen, die zu wenig Eigenkapital mitbringen. Die Scharia schließt zudem alle Anlagen aus, die mit Glücksspiel, Alkohol oder Schweinefleisch zu tun haben.
Im Formalismus erstarrtSo viel zur Idee. Die Realität sieht anders aus, wie Volker Nienhaus in einem Vortarg über das islamische Zinsverbot und die Entwicklung Shariah-konformer Finanztechniken jetzt erläutert hat. Das pakistanische Projekt scheiterte. Die islamischen Banken, die seit den siebziger Jahren mit dem Aufkommen des politischen Islam entstanden und die islamische Finanz zur stabilen Größe machten, führen den Bezug zur Ursprungsidee nur als Attrappe mit sich. Die Realität ist weitgehend eine Kultur der Replikate. Im Wettbewerb mit der konventionellen Finanzwirtschaft erliegt man der Versuchung, deren wesentlich lukrativere Instrumente zu imitieren und ethisch zu bemänteln.
Bei der zweiten, erfolgreichen Institutionalisierung der islamischen Finanz führten nicht mehr Ökonomen, sondern Praktiker die Regie. Das übergeordnete Ziel einer fairen Wirtschaftsordnung geriet aus dem Blick. Nach außen wurde die religiöse Fundierung beibehalten. Man orientierte sich jetzt aber an ihrer gesetzlichen Form. Derzeit meint „schariakonformes Banking“ die rein formale Übertragung eines islamischen Handelsrechts, das sich in den Jahren sechshundert bis neunhundert gebildet hat, auf die moderne Wirtschaft. Schariaexperten und Rechtsfirmen arbeiten oft mit erheblichem Knirschen an diesem Transfer. Das Handelsrecht der Scharia kennt etwa nicht die juristische Person, hat es aber überall damit zu tun: Schon die Bank ist eine solche.
Den größten Eifer verwendet man darauf, die religiös inkriminierten Darlehensgeschäfte in Handelsgeschäfte umzudeuten. Das klassische Beispiel ist der Hauskauf: Wenn eine islamische Bank die vom Kunden gewünschte Immobilie zunächst kauft, um sie später teurer an ihn weiterzuveräußern, wird aus verbotenem Zinsgewinn ein rein formal zulässiger Handelsgewinn. In der Substanz bleibt es aber ein Zinsgeschäft. Kreative Auslegung öffnet viele Hintertüren, in der Praxis wird so auch die Finanzierung unproduktiver Staatsausgaben möglich.
Dem europäischen Muslim, der sich in seiner säkularen Umwelt gegängelt fühlt, genügt meist der Schein religiöser Konformität. Die Islamfonds westlicher Banken beschränken sich auf rein formale Kriterien. Solange der Anteil der Fremdfinanzierung nicht zu hoch ist und weder Alkohol noch Schweinefleisch im Spiel sind, darf auch mit Waffen- und Ölfirmen spekuliert werden. Im Prinzip, so Nienhaus, könne man mit schariakonformen Konstruktionen selbst Derivate nachbilden. Auch von der Idee des geteilten Risikos ist in der Praxis wenig zu sehen. Es würde wenig zur Attraktivität beitragen, den Kunden Verluste aufzubürden.
Bisher hat das islamische Bankwesen die Kluft zur Idee nicht schließen können, was seinem Aufschwung aber keinen Abbruch tut. Die Führer des arabischen Frühlings haben die Gründung neuer islamischer Banken bereits angekündigt. Der ökonomische Umbau der nordafrikanischen Staaten wird zum Testfall für die soziale Idee der islamischen Finanz. Man erwartet hier Antwort auf die Frage, ob religiöse Moral und Zinsverbot auch der Substanz nach im Wirtschaftsleben existieren können.
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