Der Begriff Islamic Finance ist in Österreich bislang nur wenigen Unternehmern bekannt. Dahinter steckt ein hochtechnischer Markt mit teils gravierenden Unterschieden zum westlichen Finanzwesen. Wirtschaftsanwaelte.at unterhielt sich mit dem Bank- und Finanzrechtsexperten Wolfram Huber von Rautner Huber Rechtsanwälte über islamische Finanzierungen und warum es auch in Österreich Potenzial für islamkonforme Finanzprodukte gibt: Redaktion: Immer wieder ist von Islamic Finance zu hören – was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Huber: Unter islamischer Finanzierung oder englisch Islamic Finance versteht man eine Finanzierung, die im Einklang mit den Grundprinzipien des muslimischen Glaubens, insbesondere der Sharia, steht. Das wichtigste und wohl bekannteste Grundprinzip ist das Zinsverbot, auch Riba genannt. Hinzu kommen das Glücksspielverbot (Maysir) und das Verbot, Verträge abzuschließen, die – einfach ausgedrückt – zu unsicher oder zu unbestimmt sind (Gharar). Auch ist es etwa verboten, in bestimmte Bereiche zu investieren, die nicht mit dem islamischen Glauben vereinbar sind, also etwa Alkohol-, Tabak- oder Waffenindustrie. Redaktion: In westlichen Gesellschaften sind Zinsen ein wesentlicher Bestandteil im Wirtschaftsleben. Wie funktioniert ein zinsloses Bankwesen? Huber: Islamic Finance hat verschiedene Techniken entwickelt, die einen zinsähnlichen Effekt erzielen können. Am leichtesten lässt sich dies durch die Finanzierung des Ankaufs einer Ware darstellen. Anstelle der Vergabe eines verzinsten Kredits kauft die Bank die Ware vom Verkäufer und veräußert sie zugleich an den eigentlichen Käufer, der eine Finanzierung benötigt. Der Verkaufspreis ist höher als der ursprüngliche Kaufpreis, wobei die Differenz der beiden Beträge wirtschaftlich gesehen den Barwert der Zinsen darstellt. Da der Käufer jedoch auf eine Finanzierung angewiesen ist, vereinbart die Bank die Zahlung des Kaufpreises in Raten. Der Effekt ist ein ähnlicher wie bei einem Kredit, nur eben ohne Zinsen. Redaktion: Ein Sharia-konformes Sparbuch darf somit auch keine Zinsen abwerfen? Huber: Das ist richtig. Aber auch hier bedient man sich Alternativen. Vorstellbar wäre etwa ein „Anlagekonto“, mit welchem eingezahlte Gelder für (Sharia-konforme) Wertanlagen verwendet werden. Die Bank bietet keinen garantierten Zinssatz für das Sparkonto, sondern eine in Ausschau gestellte „Profitrate“, die sich an der Höhe der Zinsen orientiert, die für vergleichbare, nicht Sharia-konforme Produkte angeboten werden. Redaktion: Welchem Recht unterliegen dann die Sharia-konformen Produkte? Huber: Die Parteien sind grundsätzlich frei, das anwendbare Recht selbst zu bestimmen. Sharia-konform bedeutet nicht, dass die Sharia zur Anwendung kommt, sondern nur, dass der Vertrag mit den Prinzipien des Islams im Einklang ist. Die Parteien können und werden in der Regel also jenes Vertragsrecht wählen, mit dem sie die engste Beziehung haben. Auch unter österreichischem Recht sind Sharia-konforme Bankprodukte möglich. Redaktion: Und wer bestimmt, ob ein Produkt Sharia-konform ist oder nicht? Huber: Jedes Kreditinstitut, das Sharia-konforme Produkte anbieten möchte, muss diese durch einen eigenen internen Rat, das Sharia Board, prüfen und zertifizieren lassen. Das Sharia Board besteht aus mehreren Experten, die besondere Kenntnisse im Bereich des Bankrechts und der Sharia aufweisen. Bei rein islamischen Banken besteht die Aufgabe eines Sharia Board zusätzlich darin, im Rahmen eines Sharia Audit die gesamte Geschäftsgebarung der Bank zu überwachen. Erst wenn das Sharia Board die Sharia-Konformität bestätigt, darf das Produkt vertrieben werden. Redaktion: Kann also eine islamische Bank auch in Österreich Sharia-konforme Bankprodukte anbieten? Huber: Grundsätzlich gilt in Österreich das Bankwesengesetz, wonach jemand, der ein Bankgeschäft betreibt, eine Banklizenz benötigt. Dies gilt auch für Sharia-konforme Bankprodukte. Denkbar wäre zunächst, dass ausländische islamische Banken, die eine Banklizenz in einem EU-Mitgliedstaat besitzen, in Österreich Sharia-konforme Produkte anbieten. In England gibt es beispielsweise die Islamic Bank of Britain oder die Bank of London and Middle East als rein islamische Banken, die mit einem „EU-Passport“ auch berechtigt wären, in Österreich Bankprodukte anzubieten. Es wäre auch die Gründung einer rein islamischen Bank in Österreich möglich, sofern sie im Einklang mit österreichischem Recht, insbesondere dem Bankwesengesetz steht. Die große Herausforderung wird dabei sein, Sharia-Prinzipien und Bankaufsichtsrecht unter einen Hut zu bringen. Beim Einsatz eines Sharia Board etwa wird man sich die Frage stellen müssen, wie dieses unter gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten zu qualifizieren ist und ob die rechtlich geforderte Unabhängigkeit des Vorstandes gewährleistet ist. Aber auch im Bereich des Risiko- und Liquiditätsmanagements einer Bank sind Hürden zu überwinden. So könnte die Verwendung von Derivaten aufgrund des Spekulationsverbots nicht Sharia-konform sein. Gleiches gilt für die Zinssatz-basierte Refinanzierung im Interbankenmarkt. Auch sie käme für eine islamische Bank grundsätzlich nicht in Frage. Redaktion: Welchen Stellenwert hat Islamic Finance in Österreich? Huber: Gemessen am Investitionsvolumen hat derzeit Islamic Finance einen geringen Stellenwert in Österreich. Es gibt weder eine islamische Bank noch ein Kreditinstitut in Österreich mit einem Islamic Window, welches, von vereinzelten Spezialfonds abgesehen, Sharia-konforme Produkte anbietet. Dennoch kann Islamic Finance aus zwei Gründen auch in Österreich interessant sein. Zum einen wächst auch hier die Zielgruppe der Muslime, welche als Kunden von Sharia-konformen Finanzprodukten in Frage kommen und bislang ihre Ersparnisse mangels Sharia-konformer Angebote gar nicht angelegt haben. Zum anderen kann der islamische Finanzmarkt auch eine attraktive Alternative für österreichische Unternehmer sein, gerade dann, wenn wie etwa in Zeiten der Kreditklemme herkömmliche Bankfinanzierungen nicht in Frage kommen und der Zugang zu zusätzlichem Kapital gesucht wird. Vor allem Finanzinvestoren aus den Golfstaaten verfügen über eine vergleichsweise hohe Liquidität, die selbst für österreichische KMU von Interesse sein kann, vorausgesetzt, die Finanzierung wird Sharia-konform strukturiert. Redaktion: Danke für das Gespräch. www.rautnerhuber.com
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